Die Sinnesleistungen unserer Welpen sind nun voll entwickelt und ermöglichen auch allmählich ein genaues Orten von Wahrnehmungen über Nase, Ohren und Augen. So werden nun mit angespannter Körperhaltung Bewegungsvorgänge in der Umgebung aufmerksam verfolgt. Die Befähigung zur Fortbewegung reift in diesen Wochen rasch und entwickelt sich vor allem im Spiel zu größerer Schnelligkeit, Wendigkeit und Sicherheit. Welpen größerer und schwerer Hunderassen wirken am Ende der siebten Lebenswoche freilich noch weit tolpatschiger als gleich alte Welpen kleinerer Rassen. Diese zunehmenden Fähigkeiten beruhen auch auf einem sich stetig steigernden Bewegungsbedürfnis; dementsprechend werden auch die Schlafperioden kürzer.
Die Welpen, deren Gebiß sich nun schnell entwickelt, interessieren sich schon sehr für das Futter der Eltern und haben auch das Recht, es ihnen fortzunehmen. Schweigend erlaubt es selbst der Rüde, daß ihm ein Welpe einen Futterbrocken aus dem Rachen zieht. Am Anfang wird das Fleisch freilich nur durchgequetscht, aber bald lernen es die Welpen, kleinere Stücke loszureißen und zu verschlingen. Sie sind dabei imstande, walnußgroße Fleischstücke ohne Schwierigkeit herunterzuwürgen. Sollte der Welpe zuviel auf einmal verschluckt haben - etwa aus Futterneid -, dann zieht er sich in eine stille Ecke zurück, würgt die Brocken wieder hervor und fängt von neuem mit dem Fressen an.
Die Welpen saugen natürlich immer noch bei der Mutter. Gewöhnlich bis zum Ende dieser Periode. Anfänglich liegt man noch im Lager zum Saugen, aber je mehr die Welpen sich außerhalb des Lagers herumtreiben, um so häufiger wird nun auch im Freien getrunken. Bald sitzt die Hündin ebenfalls dabei, und schließlich säugt sie ihre Welpen oft im Stehen. Aber immer häufiger flüchtet sie vor den unersättlichen Plagegeistern, deren nadelspitze Zähnchen auch für eine derbe Hundezitze zur Qual werden. Kann sich die Hündin nicht vor den Welpen an einen für jene unerreichbaren Ort zurückziehen, dann vertreibt sie diese knurrend vom Gesäuge.
Wir können jetzt schon bei den Welpen eine ganze Reihe sozialer Verhaltensweisen erkennen: das Wedeln mit dem Schwanze als Ausdruck freudiger Erregung und Zuwendung, das Einklemmen des Schwanzes als Ausdruck ängstlicher Ergebenheit, oder das schon geschilderte Mundwinkelstoßen, Ausdruck freundlicher Ergebenheit und Zuneigung. Die Welpen streiten schon recht zornig um Futterbrocken, sträuben dabei das Fell, legen die Ohren an, ziehen die Mundwinkel zurück und entblößen knurrend die Zähne.
Zwar ist die Heimbindung und die Bindung an die Mutter noch ausgeprägt erhalten, doch wagen sich die Welpen täglich weiter vom Lager weg, vor allem, wenn sie dabei den Eltern folgen können. Entfernen sich diese aber weiter als 30 oder später 5o Meter, bleiben die Welpen zunächst unschlüssig stehen und ziehen es vor, doch lieber wieder zum Lager zurückzukehren.
Neugier und Lerntrieb treten nun stark in den Vordergrund und kennzeichnen das ganze Welpenleben. Alles wird erkundet und probiert, an allen erreichbaren Dingen wird versuchsweise herumgekaut.
Zweifelsohne gibt es jetzt zahlreiche angebotene Lerndispositionen, die zu schnellen Lernerfolgen im Bereich des Nahrungserwerbs und des Sozialverhaltens führen.
Gerade sie müßten noch sehr sorgfältig studiert werden, denn im allgemeinen sind solche besonderen Lernbegabungen ganz spezifisch auf passende Altersstufen verteilt und müssen eben in der jeweiligen Zeit ausgenutzt werden. Kann der Welpe von einer solchen Lernphase keinen Gebrauch machen, besteht nach allem, was ich hier bislang beobachten konnte, die akute Gefahr, daß Störungen bei den jeweils zugeordneten Verhaltensmustern eintreten oder überhaupt Teile des generellen Lernvermögens lahmgelegt werden. Außerdem lassen sich diese verschiedenen Lerndispositionen für Sozialverhalten besonders für die künftige Einstellung des Hundes zum Menschen auswerten.
Mir scheint, daß gerade in diesen Wochen das Lernen von vielen vorprogrammierten Lernbefähigungen bestimmt wird, die zeitlich begrenzt sind, dafür aber das Gelernte zeitlebens festlegen. Mit anderen Worten: Das, was in dieser Zeit nicht gelernt wird, kann niemals mehr nachgeholt werden.
Bei solchen engbegrenzten, zeitlich festgelegten Lernvorgängen sprechen wir von Prägung. Einer solchen Prägung entspricht das künftige Verhältnis des Hundes zum Menschen. Das wenigstens konnte ich bislang genauer analysieren.
Wenn wir täglich in dieser Zeit den Welpen die Möglichkeit bieten, sich mit unserer Hand zu befassen, dann werden aus diesen Welpen dem Menschen gegenüber ausgesprochen kontaktfreudige Hunde. Bieten wir den Welpen diese Möglichkeit während dieser Zeit nur wenige Male, dann werden aus ihnen kontaktarme Hunde. Vermeiden wir in dieser Zeit jede Möglichkeit, daß der Welpe uns beschnuppert, wird es zwischen Mensch und Hund niemals einen Kontakt geben, auch wenn wir uns nach der siebten oder achten Lebenswoche noch so um die Junghunde bemühen. Das Beste, was wir danach noch erreichen können, ist eine gewisse Zahmheit; benehmen wir uns aber ungeschickt, wird der Hund zum Angstbeißer.
Wir haben hier in dieser Richtung viele Versuche angestellt. Es genügt z. B. nicht, daß der Welpe den Menschen täglich sieht, es genügt auch nicht, daß er direkt aus der Hand des Menschen sein Futter bekommt. Er muß unbedingt Berührungskontakt mit dem Menschen bekommen, wobei wohl der Geruch entscheidend ist. Es hat sich auch gezeigt, daß Welpen, die nur mit einem Menschen derartigen Kontakt aufnehmen konnten, späterhin fremden Menschen gegenüber unsicher und kontaktarm blieben, während Welpen, die von vielen Menschen gestreichelt wurden, sich zu richtigen Allerweltshunden entwickelt haben die mit jedem fremden Menschen bereitwillig Kontakt aufnehmen.
Da der Hund ja erfahrungslos zur Welt kommt und seine Artgenossen erst nach dem 18. Lebenstag wahrnehmen kann, muß es einen Mechanismus geben, der das Bild vom Artgenossen unverrückbar für alle Zeiten festlegt. Wenn nun in dieser Zeit zusätzlich der Mensch in Erscheinung tritt und vom Welpen genauso beschnuppert werden kann wie Eltern und Geschwister, dann wird auch er zum Artgenossen, der Welpe wird also auch auf ihn geprägt.
Wie unselektiv dieser Vorgang ist, beweist ein Versuch des Hundeethologen Fox, der Chihuahua-Welpen Katzenwürfen einschmuggelte und von den Katzenmüttern aufziehen ließ. Diese Welpen waren zunächst völlig auf Katzen geprägt und konnten, als sie später normal aufgezogenen Welpen der gleichen Rasse konfrontiert wurden, mit jenen nichts anfangen.
Freilich kann so ein »verkehrt« geprägter Hund später dann doch dahinterkommen, daß andere Hunde Artgenossen sind. In einem derartigen Fall ist die Prägung nicht unverrückbar, denn als Nasentier hat der Hund die Möglichkeit, die Ähnlichkeit seines eigenen Geruches mit dem anderer Hunde zu bestimmen. Er kann dadurch die Barriere überwinden, da ihm ein derart ähnlicher Geruch nicht als fremd, feindlich oder abstoßend erscheint.
Einen ähnlich prägungsartigen Vorgang scheint es nach meinen bisherigen Beobachtungen auch hinsichtlich der Futterwahl zu geben. Hunde, die in diesem Alter niemals rohes Fleisch erhielten, lassen sich späterhin nur sehr mühsam, wenn überhaupt, daran gewöhnen. Die Erfahrung der Eltern bedingt ja, daß der Welpe nur Nahrung erhält, die für einen Hund bekömmlich ist. Es ist also zweckmäßig, wenn dieses Nahrungsangebot sich dem Welpen einprägt, damit er später einmal nicht Gefahr läuft, z.B. giftige Pilze zu versuchen, sondern einfach bei dem bleibt, was sich bewährt hat, und auf das er geprägt ist.Wahrscheinlich können wir noch mit mehr derartigen vorgegebenen und zeitlich begrenzten Lernmechanismen in diesem Alter rechnen, deren genauere Kenntnis für die Erziehung der Welpen zu guten Hunden für uns mancherlei praktischen Wert haben könnte. Auch wenn man diese Möglichkeiten nicht überbewerten will, so scheint doch die Wahrscheinlichkeit sehr groß, daß zumindest manches von dem, was der Hundeführer als das »Wesen« im Sinne von angebotenen Charaktereigenschaften nennt, in dieser Zeit beeinflußbare, also umweltabhängige Wurzeln hat.
Wir können feststellen, daß die Eltern in dieser Entwicklungsperiode den Welpen überaus duldsam sind und den Kleinen sehr viel »Narrenfreiheit« lassen. Der Vater spielt geduldig mit den Welpen, allerdings bleibt er anfänglich noch ziemlich grob, als wollte er sie auf ihre Widerstandskraft testen. Aber der tiefere Sinn liegt wohl darin, daß auf diese Weise die Welpen sehr bald lernen, die notwendigen Beschwichtigungsrituale vorzubringen, ehe es noch zur tätlichen Auseinandersetzung kommt. Das lernen die Welpen tatsächlich recht bald, und sie erproben es dann sogar mit erstaunlichem Einsichtsverhalten. So kann man sehr heitere Szenen erleben: Ein Welpe läuft zum ruhenden Vater, baut sich vor ihm auf und vollführt sein Pfötchengeben unter lauten Angstschreien (die auch eine Aggressionshemmung darstellen). Dann beißt er den Alten blitzschnell in die Nase und läuft - man ist versucht, zu sagen: lachend - davon.
Solche Methoden werden auch angewandt, wenn ein Welpe einem Althund einen Futterbrocken wegnehmen will. Wenn der, erstaunt über das Getue des Welpen aufschaut, packt dieser flugs den Brocken und saust damit ab. Man kann natürlich Sozialverhalten auch so einüben.
Durch diese und ähnliche Dinge entwickelt sich zugleich ein festes Vertrauensband zum Rüden, der nun allmählich anfängt, die Welpen ein wenig zu disziplinieren, was gegen Ende dieses Lebensabschnittes deutlicher sichtbar wird. So knurrt er sie jetzt auch an, wenn sie ihm allzu lästig werden und verscheucht sie.
Besonders interessant wird das alles, wenn außer dem Wurf noch weitere Geschwister aus einem früheren Wurf der Eltern im Zwinger sind. Sie sind die Hauptspielpartner der Welpen in dieser Zeit. Werden sie aber einmal im Eifer des Vergnügens zu heftig, dann fährt der Rüde sofort dazwischen und weist den Grobian in die Schranken. Ebenso achtet er darauf, daß kein anderer Hund an das Futter geht, solange die Welpen daran sind, und auch die noch säugende Hündin hat das Vorrecht beim Futter.
Die Einflüsse innerhalb des ersten Lebensjahres prägen den Hund, und sie können stärker sein, als seine angeborenen Eigenschaften.
zitiert von Eberhard Trumler aus seinem Buch:“Hunde ernst genommen”, Piper Verlag,1998, 9.Auflage